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von KalmCord T. von Kalm
Rechtsanwalt
Insolvenzverwalter
Zertifizierter Restrukturierungs- und Sanierungsexperte (RWS)
Fachanwalt für Insolvenz- und Sanierungsrecht
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Haftungsfalle Betriebsübernahme

Insolvenzrecht - 01.09.2025

Der Fall: Der Ehemann überträgt kurz vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen die von ihm betriebene Gaststätte unentgeltlich auf die Ehefrau. Die Gemeinde machte nun rückständige Vergnügungs- und Gewerbesteuern des insolventen Ehemannes gegenüber der Ehefrau nach § 75 AO im Rahmen eines Haftungsbescheides geltend. Ist das rechtens?

Die Gemeinde meinte, dass der immaterielle Firmenwert der betroffenen „Schankwirtschaft“ aufgrund der guten Lage der Gaststätte, Laufkundschaft und Stammkunden auf den Betrag der offenen Steuerverbindlichkeiten des Ehemannes zu schätzen sei.

Nach Einspruch, Klage, Antrag auf Aussetzung der Vollziehung und Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts entschied schließlich das Oberverwaltungsgericht:

OVG Lüneburg:
1. Eine Haftung nach § 75 AO kommt nur für Betriebssteuern in Betracht –Vergnügungssteuer ist keine Betriebssteuer.
2. Die Inanspruchnahme nach § 75 AO setzt die Übernahme von Vermögen voraus, in das vollstreckt werden kann – in einen immateriellen Vermögenswert kann nicht vollstreckt werden.

Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 09.12.2024 (Gesch.-Nr. 9 ME 120/24, ergangen im Verfahren über den einstweiligen Rechtsschutz) klargestellt, dass sich die Haftung nach § 75 Abs. 1 S. 1 AO auf die Steuern beschränkt, bei denen sich die Steuerpflicht auf den Betrieb des Unternehmens gründet (z. B. Gewerbesteuer). Die Vergnügungssteuer sei hingegen eine örtliche Aufwandssteuer.

Noch relevanter war aber, dass ein immaterieller Geschäfts- oder Firmenwert kein vollstreckbarer Vermögensgegenstand ist. Bildlich gesprochen kann also ein Gerichtsvollzieher diesen Vermögenswert nicht einpacken und mitnehmen, um diesen zugunsten eines Gläubigers zu verwerten. In der Sache ist das OVG unserer Argumentation zugunsten der Ehefrau gefolgt und die Gemeinde hat anschließend den Haftungsbescheid aufgehoben.

Was bedeutet das für die Praxis?
Bei einer Betriebsübernahme ist an verschiedene Haftungstatbestände zu denken, z.B. für Altverbindlichkeiten des Betriebsübergebers bei Fortführung der Firma (§ 25 HGB), für betriebliche Steuerrückstände (§ 75 AO), für Verbindlichkeiten aus Arbeitsverhältnissen (§ 613a BGB) oder auch an die Anfechtung durch den Insolvenzverwalter nach §§ 129 ff. InsO. Zur Vermeidung von Haftungsgefahren ist daher die Beratung vor einer etwaigen Betriebsübernahme gerade bei (drohender) Insolvenz dringend empfehlenswert. Wäre der Betrieb im geschilderten Fall erst nach Insolvenzeröffnung übertragen worden, hätte sich die hier entschiedene Haftungsfrage gar nicht erst gestellt.