Jens Stanger
Rechtsanwalt
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Informationstechnologierecht
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1. Höhere Gewalt- oder Force Majeur-Klauseln
In diesen Zeiten ist häufig von Klauseln zur „höheren Gewalt“ oder „Force Majeure“ die Rede. Dies sind Regelungen, die Folgen von Leistungsstörungen adressieren, die durch Umstände hervorgerufen werden, die sich der Kontrolle und Einflussnahme der Vertragsparteien entziehen („höhere Gewalt“), insbesondere Naturkatastrophen. Die weltweite Ausbreitung des Virus SARS-CoV-2 und die damit verbundenen Folgen wird man unter den Begriff „höhere Gewalt“ fassen können.
In deutschen Verträgen finden sich diese Regelungen meist nur in Warenlieferungsverträgen.
Folge einer solchen „Force Majeure“-Klausel ist regelmäßig, dass in einer solchen Situation Leistungspflichten der Parteien suspendiert und Schadensersatzansprüche ausgeschlossen werden. Ggf. sind auch weitreichende Kündigungs- und Rücktrittsrechte vereinbart.
Enthält ein Vertrag eine solche Klausel, geht sie allen anderen Regelungen vor.
2. Leistungsverweigerungsrecht für den Auftragnehmer
Was ist jedoch mit Verträgen, in denen eine solche Klausel fehlt?
Das deutsche BGB kennt den Begriff der höheren Gewalt nicht, enthält aber Regelungen, die auf derartige Fälle angewendet werden können.
Kann eine Partei aufgrund von Umständen, die sie nicht zu vertreten hat (z.B. ein Warenlieferant, der aufgrund von Grenzschließungen oder der Schließung von Produktionsanlagen) nicht rechtzeitig liefern, ist seine Leistungspflicht vorübergehend suspendiert (§ 275 BGB). Sie braucht für die Verzögerung auch keinen Schadensersatz zu zahlen, es sei denn, die zur Leistung verpflichtete Partei hat den Eintritt des Leistungshindernisses selbst zu vertreten (etwa, weil sie Schutzmaßnahmen unterlassen hat).
Andererseits muss der Vertragspartner seine vertragliche Gegenleistung (meist die Vergütung) nicht erbringen und kann, nach vorheriger Fristsetzung, vom Vertrag zurücktreten.
3. Nur begrenztes Lösungsrecht für den Auftraggeber
Diese Regelung hilft jedoch dem Auftraggeber nicht, der nun aufgrund der Pandemie kein Interesse mehr an der Leistung hat. Er möchte sich vielmehr von dem Vertrag lösen, obwohl der Auftragnehmer vielleicht noch leisten kann und will.
In diesem Zusammenhang wird häufig der Wegfall der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) genannt. Rechtsfolge dieser Vorschrift ist, dass die eine Partei von ihrem Vertragspartner die Anpassung des Vertragsverhältnisses verlangen kann. Ist selbst diese unzumutbar, kann sogar ein Rücktrittsrecht bestehen.
Voraussetzung für die Berufung auf diese Vorschrift ist, dass eine Geschäftsgrundlage für den Vertragsschluss weggefallen ist. Geschäftsgrundlage kann z.B. das Vorstellungsbild der Parteien sein, dass sich die grundlegenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Umstände nicht ändern werden. Dies wird man mit Eintreten des Pandemiefalls bejahen können. Allerdings nur, wenn der Vertrag vor Ausbruch der Pandemie geschlossen wurde. Wird der Vertrag erst jetzt geschlossen, kann man sich hierauf nicht mehr berufen.
Was kann der Auftraggeber nun tun? Er sollte sich unverzüglich mit seinem Vertragspartner in Verbindung setzen, ihn sorgfältig darüber unterrichten, dass die Pandemie auch Auswirkungen auf den konkreten Vertrag hat und mit ihm über eine Anpassung des Vertrages verhandeln. Dabei sollte der Auftraggeber im Hinterkopf behalten, dass grundsätzlich ihn das Verwendungsrisiko der Leistung im Vertragsverhältnis trifft und im Zweifel die Folgen des Coronavirus nicht vollständig von den vertraglichen Pflichten befreien, sondern vielmehr zunächst ein Bemühen um eine alternative oder teilweise Leistungserbringung verlangen.
Leider sind die Fallgestaltungen im Vertragsrecht so zahlreich, dass diese nicht vollumfassend dargestellt werden können. Bitte sprechen Sie uns an, sollte die Situation bei Ihnen anders gelagert sein.
4. Zahlungsaufschub für Verbraucher und Kleinstunternehmer bis 30.06.2020
Mit dem „Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht vom 27.03.2020 hat der Gesetzgeber nicht nur Erleichterungen für Miet- und Darlehenszahlungen geschaffen, sondern auch ein Moratorium für andere Dauerverträge, die vor dem 08.03.2020 geschlossen wurden:
Ausnahmen: Der Aufschub ist für den Gläubiger seinerseits unzumutbar, weil er dessen angemessenen Lebensunterhalt bzw. die wirtschaftliche Grundlage des Erwerbsbetriebs gefährden würde.
Die Zahlungspflicht wird dem Vertragspartner nicht erlassen, sondern nur gestundet. Er muss diese also nach Ende des Moratoriums (derzeit 30.06.2020) nachzahlen. Es fallen aber keine Verzugszinsen ab dem Zeitpunkt der Mitteilung an.
Kleinstunternehmer und Verbraucher, die ihre Zahlungen zunächst einstellen wollen, sollten dies ihrem Vertragspartner unverzüglich mitteilen und in ihrem Schreiben auf die Pandemie Bezug nehmen. Außerdem sollten sie begründen, weshalb die Zahlung den Lebensunterhalt bzw. die wirtschaftliche Grundlage des Betriebs gefährden würde.
Von der Zahlungseinstellung betroffene Gläubiger stehen zwei Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung, wenn sie dies nicht akzeptieren wollen: