Matthias Wienbrügge
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Kurz zusammengefasst: Teilzeitbeschäftigte können bei dem Vergleich mit Vollzeitbeschäftigten hinsichtlich ihrer Beschäftigungsbedingungen in Zukunft mit einem für sie deutlich günstigeren Vergleichsmaßstab rechnen und das nicht nur bei der Mehrvergütung von Überstunden.
Angepasste Rechtsprechung des EuGHs
Der Europäische Gerichtshof hat seine Rechtsprechung hinsichtlich der Vergleichsmethodik zwischen Teilzeit- und Vollzeitkräften angepasst.
Die „Einzelvergleichsmethode“, die isoliert einzelne Beschäftigungsbedingungen betrachtet, löst die „Gesamtvergleichsmethode“ (EuGH, Urt. v. 15.12.1994 – Az. C-399/92) ab. Dies hat drastische Auswirkungen.
Der EuGH hatte den folgenden Fall zu entscheiden:
Ein Pilot, der in Teilzeit bei Lufthansa CityLine GmbH beschäftigt ist, klagte auf eine höhere Vergütung für Mehrarbeitsstunden (Überstundenzuschläge). Die Lufthansa CityLine GmbH sah sowohl für Teilzeit- als auch Vollzeitbeschäftigte einheitliche monatliche „Stunden-Schwellenwerte“ vor, ab denen der jeweilige Pilot Überstundenzuschläge erhalten sollte. Der „Teilzeitpilot“ musste somit bis zum Erreichen des „Stunden-Schwellenwertes“ Überstunden leisten ohne zunächst Überstundenzuschläge zu erhalten, während der „Vollzeitpilot“ bereits ab der ersten Überstunde Überstundenzuschläge erhielt.
Das Urteil des EuGH v. 19.10.2023 – C-660/20 führt dazu, dass der „Teilzeitpilot“ genau wie der „Vollzeitpilot“ für jede Überstunde Überstundenzuschläge erhält.
Dies bedeutet, dass ein teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer mit 30 Stunden/ Woche bereits ab der 31. Stunde Überstundenzuschlag bekommt, ein vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer mit 40 Stunden/ Woche (erst) ab der 41. Stunde. Damit verdient dieser teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer, der in einer Woche 40 Stunden arbeitet, in dieser Woche die Grundvergütung von 40 Stunden und die Überstundenzuschläge für 10 Stunden. Demgegenüber erhält der vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer für die von ihm in dieser Woche geleisteten (ersten) 40 Stunden nur die Grundvergütung und keine Zuschläge. Bezogen auf diese 40 Stunden pro Woche ist somit die Vergütung des teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmers höher.
Antwort auf abstrakte Gerechtigkeitsfragen
Hinter der Entscheidung des EuGH verstecken sich letztlich folgende „Gerechtigkeitsfragen“:
Ist es (hinreichend) „gerecht“, wenn ein Teilzeitbeschäftigter für die gleiche Anzahl von Arbeitsstunden das gleiche Entgelt erhält wie ein Vollzeitbeschäftigter?
Oder ist es nicht (noch) „gerechter“, wenn ein Teilzeitbeschäftigter bereits ab der ersten Stunde oberhalb seiner arbeitsvertraglichen Arbeitszeit Überstundenzuschläge bekommt, mit der Konsequenz, dass dieser dann für die gleiche Anzahl von Arbeitsstunden ein höheres Entgelt erhält als der Vollzeitbeschäftigte?
Die letztere Frage hat der EuGH durch sein Urt. v. 19.10.2023 – C-660/20 ausdrücklich bejaht.
Ob diese Entscheidung letztlich „gerecht“ ist, kann wohl nur jeder für sich beantworten.
Sollten Sie die letztere Frage bei den Überstundenzuschlägen bisher nicht bejahen können, lohnt sich eine Überprüfung dieser Handhabung. Denn die Gewerkschaften, allen voran ver.di, machen diese Entscheidung bereits unter ihren Mitgliedern bekannt. Insbesondere im öffentlichen Dienst droht „Ungemach“, vgl. § 8 Abs. 1 lit. a iVm § 7 Abs. 7 u. 8 TVöD/TV-L.